GESCHICHTEN
Meistens erleben wir, dass die Menschen, die wir besuchen, sich über ein Spiel freuen. „Wollen Sie mich heiraten?“ fragt Eugène eine ältere attraktive Dame. Die Antworten lautet dieses Mal nicht: „Behüte mich Gott!“ sondern strahlend: „Ja!“ Wir stimmen sofort ein romantisches Lied an, wagen ein Tänzchen, blasen einen Herzballon auf und feiern das junge Glück.
Vor ein paar Jahren führten wir mit 12 Bewohnerinnen und Bewohnern eines Pflegeheimes einen Zauberkurs durch. Während diesen Wochen mit regelmässig stattfindenden Proben durchging die Gruppe eine grosse Veränderung. Anfängliche Zurückhaltung wurde zu Kreativität, Mut und Risikobereitschaft. Wir brachten die persönlichen Geschichten mit Zauberkunststücken in Verbindung. Die einzelnen Darbietungen wurden dann zu einer einstündigen Show. Dazu gehörte das Lampenfieber der Teilnehmenden genauso wie die grosse Befriedigung, ein Ziel mit Erfolg erreicht zu haben.
E. war früher in der Gemüseabteilung einer grossen Ladenkette tätig. Die Erinnerungen daran waren trotz Verlust des Kurzzeitgedächtnisses noch sehr lebendig. Wir zeigten einen Trick mit Tomaten, die plötzlich verschwanden und auf magische Weise wieder erschienen. E. konnte sich in den folgenden Wochen nicht mehr daran erinnern, dass wir gezaubert hatten. Ihre Hände wussten aber genau, wo wir bei ihr Tomaten gefunden hatten und sie langten jeweils automatisch an die richtige Stelle hinter ihren Ohren.
Wir besuchten einen älteren Herrn, der sich nach ein paar Schlaganfällen in seiner eigenen Welt nicht mehr zurecht fand. Nachdem wir ein Lied für ihn gespielt hatten, vertraute er uns an, dass er früher selber Musik gemacht und Alphorn gespielt hatte. Mit Einsatz all seiner Kräfte suchte er einen Kasten, öffnete ihn und setzte umständlich sein Instrument zusammen. Eugène half ihm dabei. Spielen könne er nicht mehr, bedauerte der Mann. Wir ermutigten ihn, es zu versuchen. Seine Freude, als er dem Alphorn ein paar Klänge entlocken konnte, war gross und als sein Zustand sich in den kommenden Monaten verschlechterte, fanden wir mit Hilfe der Musik (er liebte französische Soldatenlieder) immer wieder eine Möglichkeit, seine Augen zum Leuchten zu bringen.
Nicole H. war eine jüngere Frau. Wir wussten nicht viel über ihr Krankheitsbild. Sie ging uns anfänglich aus dem Weg und zog sich bei unseren Besuchen zurück. Eines Tages kam es zu einem kurzen Wortwechsel und Yvette konnte sich unverbindlich vorstellen. Yvette? So hatte auch ihre Mutter geheissen, erklärte die Bewohnerin. Damit entwickelte sich ein erstes Gespräch, das bei unseren weiteren Besuchen fortgesetzt und ausgedehnt wurde. Heute sucht Nicole H. den Kontakt, geniesst unsere Komplimente und Spässe und bittet Eugène sogar um Einkaufstipps.
Bei unserem ersten gemeinsamen Besuch in einer Seniorenresidenz fanden wir die pflegebedürftigen, alten Menschen in ihren Zimmern oder alleine an einem Tisch in der Cafeteria sitzend vor. Vor allem im offenen Raum reagierten sie oft zurückhaltend oder sogar abweisend. Nach wenigen Besuchen wich die Scheu einer grossen Freude und einem kindlichen Interesse an unseren Spielen und Spässen. Die Menschen fanden sich zusammen und genossen die Ablenkung gemeinsam in der Gruppe. Was zu diesem Wandel geführt hatte, blieb uns verborgen. Sichtbar waren das Vergnügen am gemeinsamen Erlebnis und die Lust auf ein paar zauberhafte Augenblicke.